Zum Abschluss des erstmalig organisierten Monats des Gedenkens fast 70 Jahre nach dem Ende des Faschismus in Eimsbüttel

Gehalten am  25. Mai 2014

Ich wurde als Schirmherrin oder, wie ich sage, "Schirmfrau“ ausgewählt.
Es haben etwa 50 Veranstaltungen in unserem Hamburger Stadtbezirk stattgefunden, die meisten gut besucht. Natürlich war ich nur bei einem kleinen Prozentsatz anwesend:

Es fanden Spaziergänge durch den Bezirk statt, wir gedachten dem von deutschen Nazis verursachten Tod und Verderben: der Judenverfolgung. Wir gedachten der eingesperrten Zwangsarbeiter aus vielen Ländern, speziell aus Osteuropa. Wir gedachten der ermordeten Sinti und Roma. Und immer wieder Auschwitz. Und der zahlreichen Konzentrationslager.
Wir hörten Zeitzeuginnen. Wir benannten auch Täter. Wir gingen nochmal dem Schicksal der Widerstandskämpfer nach, betrachteten die Stolpersteine. Und hatten eine Marathon-Lesung aus den "verbrannten“ Büchern.
Wir hörten auch einen Pfarrer aus Jena, der sich zusammen mit Antifaschisten einem Naziaufmarsch in Dresden entgegengestellt hatte. Und alle Aktivitäten standen unter dem Motto: NIE WIEDER. Nie wieder Faschismus und Krieg.
Dabei schaut's gegenwärtig gar nicht so optimistisch aus  – wenn ich mir das Getöse um die Ukraine durch den Kopf gehen lasse. Da klirren die Waffen von allen Seiten und Menschen bringen sich schon wieder gegenseitig um. Mich durchlief ein Schock, als ich vor wenigen Tagen im Fernsehen Generäle und Offiziere der EU, behangen mit zahlreichen militärischen Orden sah, die auch der Meinung waren, es muss aggressiver militaristischer vorgegangen werden, und zwar recht nahe an der ukrainischen Grenze – es gibt ja dort außer Polen und Ungarn, gar nicht so weit entfernt, eine Reihe von weiteren EU-Staaten; Lettland, Litauen – vorwiegend antirussisch getrimmt. Mir, die ich den Anfang des 2. Weltkrieges mitgemacht habe, flößt diese unfriedliche Haltung große Angst ein und ich hoffe dennoch, dass die Friedenskräfte, die europäischen Friedenskräfte, zu denen wir, das Volk gehören, die Oberhand behalten.
Und dass wir im kommenden Jahr in Eimsbüttel wieder den Monat des Gedenkens begehen können, 70 Jahre nach dem Sieg über den Faschismus mit mehr Frieden auf allen Kontinenten. Und da habe ich schon einen Plan: Konkret denke ich, da ich in Niendorf-Nord wohne, an einige dort befindliche Straßen, die die Namen von mutigen Widerstandskämpfern tragen. Und dazu steht dort ein Denkmal mit zwölf Stühlen mit eben diesen Namen. Ferner denke ich an die kleine Paul-Dieroff-Straße, abgehend vom Garstedter Weg. Paul Dieroff, noch ein Schuljunge, ging mit seiner jüdischen Mutter Berta Freudenthal verbotenerweise 1943 ins Kino – und wurde von einer Nachbarin denunziert. Berta Freudenthal und ihr Sohn wurden verhaftet und deportiert. Paul Dieroff starb in der Nähe des KZ Dachau im Außenlager Kaufering an Typhus. Berta Freudenthal überlebte das KZ Theresienstadt. Ich habe sie noch in Hamburg nach 1945 kennen gelernt. Nächstes Jahr sollte es also auch eine Erinnerungsfahrt durch Niendorf-Nord geben.
Ich kann nicht aufhören, ohne aus der hervorragenden Rede des Schriftstellers Navid Kermani im Bundestag zum 65. Jahrestag der Verkündung unseres Grundgesetzes zu zitieren:
Wie sei es möglich, fragte er, dass Artikel 16 des Grundgesetzes, der Verfolgten das Recht auf Asyl gewährt habe, 1993 so geändert worden sei, dass er für deren Ausgrenzung sorge? Eine monströse Verordnung sei das, und er hoffe, dass das Grundgesetz zum 70. Jahrestag seiner Verkündung von "diesem hässlichen, herzlosen Fleck“ gereinigt werde.
Da ich im Jahre 1940 in Uruguay selbst Asyl erhalten habe, das mein Leben rettete,
ist diese Ermahnung für mich ein Herzenswunsch.

Steffi Wittenberg
Schirmfrau* des Monats des Gedenkens in Hamburg-Eimsbüttel
*) Eine "Schirmherrin“ wollte Steffi Wittenberg nicht sein. Drum haben wir diesen Begriff für sie kreiert.